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Experteninterview: Physiotherapeutische Reaktivierung bei Inkontinenz

Renate Tanzberger

Ein reaktionsarmer Beckenboden kann durch Schwangerschaft, Geburt oder altersbedingte Veränderungen entstehen und führt in manchen Fällen zu Inkontinenz. Besonders nach einer natürlichen Geburt ist die Dehnung des Beckenbodens eine Herausforderung, die durch gezielte therapeutische Maßnahmen behandelt werden kann. Die Elastizität des Beckenbodens spielt dabei eine entscheidende Rolle, um die Funktion des Kontinenzsystems zu reaktivieren und langfristige Beschwerden zu vermeiden. Mithilfe eines ganzheitlichen Therapieansatzes lassen sich viele Symptome lindern, während präventive Maßnahmen helfen, der Problematik bereits im Vorfeld entgegenzuwirken.

1. Frau Tanzberger, welche anatomischen Ursachen können zu einem geschwächten Beckenboden führen und Inkontinenz verursachen?

R. Tanzberger: Wenn der „geschwächte“ weibliche Beckenboden von Ihnen gemeint ist, dann handelt es sich in den meisten Fällen um einen Zustand nach der Schwangerschaft und natürlicher vaginaler Geburt. Ursache ist die maximale Dehnung des Beckenausgangs, also des Beckenbodens, durch die vielerorts noch übliche unnatürliche Gebärposition in Rückenlage.

Von Prof. Dr. Wulf Schievenhövel, Mediziner, Anthropologe und Verhaltensforscher stammt das keineswegs lustig gemeinte Zitat, bedenkt man die schädigenden Folgen am mütterlichen Beckenboden: „Außer dem Kopfstand gibt es keine unsinnigere und unnatürlichere Gebärhaltung als flach auf dem Rücken zu liegen“.

Im Alter treten diese Schäden vermehrt als Spätschäden auf, da es im postmenopausalen Lebensabschnitt mehr oder weniger zum Abbau von kollagenen und muskulären Fasern kommt. Dadurch kann eine zuverlässige Kontinenz minimiert werden.

2. Bei welchen Schweregraden von Inkontinenz ist es möglich, mit gezielten physiotherapeutischen Übungen die Beschwerden zu lindern?

R. Tanzberger: Eine kompetente Kontinenz-Physiotherapie – und das ist alles andere als die weit verbreiteten bekannten, isolierten und eindimensionalen Anspann-Übungen des Beckenbodens im Sekundentakt – kann bei intakten, neurologischen Bedingungen per extrinsischem und intrinsischem Übungsprogramm individuell erstaunliche Erfolge erzielen. Es handelt sich allerdings nicht nur um ein paar Übungen, sondern um ein komplexes Therapiekonzept, welches ich in meinem Fachbuch (s. Website) beschrieben habe.

3. Wie grenzt sich das Tanzberger-Konzept von anderen Therapieansätzen ab und wie wichtig ist die interdisziplinäre Zusammenarbeit in Ihrem Konzept?

R. Tanzberger: Der Hauptunterschied zu anderen Vorgehensweisen ist, dass sich das Tanzberger-Konzept in seiner Rehabilitation sowohl an der Physiologie des Kontinenzsystems, als auch an der menschlichen Biomechanik orientiert. Das bedeutet, man muss die exakte Physiologie des Systems kennen, um das jeweilige Defizit so funktionsspezifisch wie möglich behandeln zu können; das heißt, es aus den pathologischen Abweichungen Schritt für Schritt herauszuführen.

Wer in der Lage ist, seine Bewegung zu analysieren – und das ist leider nicht weit verbreitet –, wird die oben genannten maßgebenden Bezugssysteme in anderen Ansätzen kaum finden. Es wird in falschen Ausgangsstellungen geübt: Zum Beispiel in Rückenlage oder Bewegungen werden nicht reaktiv inszeniert. Interdisziplinäre Zusammenarbeit ist ein therapeutisches Ideal, allerdings müsste diese vorurteilsfrei von den entsprechenden Partnern gewollt sein. Mein Verein (Tanzberger-Konzept e. V.) und ich wären gerne dazu bereit.

4. Inwieweit kann Ihr Konzept präventiv zur Anwendung kommen?

R. Tanzberger: Dieses Konzept ist vor über 40 Jahren als präventives Rückbildungskonzept nach Schwangerschaft und Geburt in meiner Münchner Schwerpunkt-Praxis für gynäkologische Physiotherapie entstanden. Es hat sich im Laufe von Jahrzehnten im Bereich der Gynäkologie, der Urogynäkologie, der Urologie und der Proktologie zu dem heute bekannten Konzept entwickelt.

Ich habe 1982 die erste Beckenboden-Fortbildung nach funktionellen Gesichtspunkten für den Berufsverband in Deutschland gehalten und wenig später erstmals physiotherapeutische Urologie und Proktologie in Deutschland und im deutschsprachigen Ausland gelehrt. Seinerzeit, vor 25 Jahren, habe ich mein Konzept in medizinischen Fachzeitschriften veröffentlicht und auf etlichen Arzt-Kongressen gesprochen.

Inzwischen trete ich schon lange nicht mehr öffentlich auf, schreibe aber noch immer kleine Fachartikel für die Mitglieder des Vereins Tanzberger-Konzept. e.V. – nachzulesen auf meiner Website und als Ankündigung bei Instagram. Nähere Informationen finden Sie unter www.tanzberger-konzept.de.

5. Wie hat sich Ihrer Einschätzung nach die Wahrnehmung und Behandlung von Beckenbodenproblemen in den letzten Jahrzehnten verändert?

R. Tanzberger: Wenn ich aktuelle Veröffentlichungen im Internet und in Printmedien (z. B. in Ratgeberbüchern) betrachte, sind die Inhalte und Darstellungen überaus frustrierend, weil sie obsolet sind. Die meisten Angebote dieser Art stammen in ihren mechanistischen, unfunktionellen Übungsansichten aus den 40er Jahren des letzten Jahrhunderts. Sie lassen die funktionelle Anatomie, die funktionelle Bewegungslehre und die Biomechanik außer Acht.

6. Welche Rolle spielen Inkontinenzprodukte in der Therapie und im Alltag der Betroffenen?

R. Tanzberger: Dozenten des Tanzberger-Konzepts besprechen in ihren Fachfortbildungen Hilfsmittel und Hygiene-Produkte von verschiedenen Firmen, sodass die Kursteilnehmer ihre Patienten beraten können. Sie zeigen die Produkte, die ihnen von entsprechenden Firmen zur Verfügung gestellt wurden.

7. Gibt es bestimmte Produktformen, die Sie im Rahmen des Tanzberger-Konzepts empfehlen?

R. Tanzberger: Es wird generell im Rahmen unserer Fortbildungen über verschiedene sinnvolle Produkte informiert, jede weitere Beratung zu Hilfsmitteln überlassen wir im Anschluss unseren Kollegen.

Autor: Renate Tanzberger
Renate Tanzberger ist Physiotherapeutin, Fachbuchautorin, ehemalige Dozentin und hat sich auf die funktionsspezifische Reaktivierung des Beckenbodens bei Beckenboden-Sphinkter-Dysfunktionen spezialisiert.